Rede von Peter Franke (Vorsitzender BDWO) zum 8. Mai

Rede Köln 8. Mai 2025

 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde, 

zunächst möchte ich kurz etwas zu unserer Organisation dem Bundesverband Deutscher West-Ost-Gesellschaften sagen, in dem auch der Städtepartnerschaftsverein Köln-Wolgograd Mitglied ist. Der Verband besteht seit fast 30 Jahren und in ihm sind knapp 80 Vereine und Organisationen zusammengeschlossen, die Partnerschaften mit den postsowjetischen Ländern pflegen. Unsere Mitglieder sind aktiv in den gesellschaftlichen Beziehungen mit Russland und Belarus, aber auch mit der Ukraine ebenso wie mit den zentralasiatischen Staaten oder den Ländern im Kaukasus. Jeder und jede kann sich vorstellen, dass sehr unterschiedliche Vorstellungen, Meinungen und Einschätzungen insbesondere auch vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine im Verband und seinen Mitgliedern aufeinanderprallen, aber trotz aller Verschiedenheit ist uns gemeinsam, dass wir für Völkerverständigung und Frieden eintreten. Und so unterstützen in den letzten drei Jahren vielerorts unsere Mitgliedsvereine egal ob sie Deutsch-Russische, Deutsch-Belarussische, Bayrische Ostgesellschaft oder Ukraine-Kontakt heißen, Flüchtlinge aus der Ukraine so gut sie es können bei ihrer Integration in Deutschland. Wir versuchen im KleinenVölkerverständigung zu leben.

 

Heute erinnern wir an das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa. Auf dem Weg nach Köln sah ich einen Beitrag in der ARD, in dem sehr deutlich wurde, dass insbesondere junge Menschen über wenig bis gar kein Wissen über den 8. Mai verfügen oder gar über den Anteil der Völker der Sowjetunion am Sieg über den Faschismus. Heute vor 80 Jahren wurde Deutschland und Europa vom Faschismus befreit – von außen, von der Roten Armee der UdSSR, gegen die Nazi-Deutschland einen einzigartigen Raub-, Versklavungs- und Vernichtungskrieg mit 27 Millionen Todesopfern geführt hat, und von den Truppen Großbritanniens, der USA und anderer Alliierten. Für diese Befreiung danken wir von Herzen. Deutschland hat sich nicht selbst befreit. Deutsche Antifaschisten waren eingesperrt, getötet oder sie hatten sich ins Exil retten können. Trotz Widerstands auch im Inneren war die Mehrheit der Bevölkerung verstummt oder folgte der Nazi-Ideologie bis zum bitteren Ende. In jedes der von Deutschland überfallenen Länder haben Wehrmacht und SS Zerstörung und Verfolgung getragen und himmelschreiende Verbrechen begangen. In jedem dieser Länder gab es Aufbegehren und Gegenwehr und Widerstand. All denen gilt unser Dank und insbesondere den Völkern der Sowjetunion.

 

In Erinnerung rufen möchte ich die Kriegsziele Nazideutschlands. Die Hauptkriegsziele waren die Expansion nach Osten (Stichwort „Lebensraum“), die Vernichtung des Judentums und der „minderwertigen“ Völker sowie die Schaffung eines „Dritten Reiches“nach NS-Vorstellungen. Diese Ziele beinhalteten die Eroberung und Ausbeutung von Territorien, die Vertreibung und Vernichtung derZivilbevölkerung, und die Beseitigung von politischen Gegnern. Zudem gehörten der Zugang und die Sicherung bzw. Eroberung wichtiger Rohstoffquellen dazu. Mit dem „Lebensraum“ im Osten war die Eroberung und Besiedlung von Gebieten in Osteuropa, insbesondere Russland gemeint, „um Platz für die deutsche Bevölkerung zu schaffen“.

Blickt man auf diesen Krieg dann fallen natürlich die Opferzahlen ins Auge insbesondere in der Sowjetunion mit bis zu 27 Millionen Toten.

Blickt man auf die Zahlen, die von statista.de veröffentlicht werden,von24 Millionen Toten in der Sowjetunion, dann fällt auf, dass davon 9,75 Millionen Tote Soldaten waren und 14,25 Millionen Zivilisten, was einmal mehr das Kriegsziel eines Vernichtungskrieges im Osten unterstreicht.

Noch ein weiterer Blick auf die Opferzahlen des 2. Weltkrieges, der in Asien erst Anfang September mit der Kapitulation Japans endete: China 20 Millionen Tote (3,5 Soldaten, 16,5 Mill. Zivilsten); Deutschland: 7,75Millionen Tote (5,6 Millionen Soldaten, 2,167 Mill Zivilsten); Polen 5,6 Mill(240.000 Soldaten, 5,36 Mill Zivilisten); Niederländisch Indien (Indonesien) 3,5 Mill Zivilisten, Japan: 2,85 Mill (2,12 Mill Soldaten,730.000 Zivilisten); Indien 2 Millionen Tote fast nur Zivilisten; Frankreich: 567.600 Tote (217.600 Soldaten, 350.000 Zivilisten); Vereinigtes Königreich: 450.700 (383.600 Soldaten, 67.100 Zivilisten); USA: 418.500 Tote (416.800 Soldaten, 1.700 zivile Opfer).

Unter allen Sowjetrepubliken war besonders stark Belarus betroffen sowohl mit Blick auf die Zahl der Menschen bzw. ihr Anteil an der Bevölkerung wie der Zerstörung im ganzen Land, aber selbst in den sowjetischen Republiken in Zentralasien waren bis zu einem Viertel der Bevölkerung Opfer dieses Krieges.

 

Offizieller Nachfolgestaat der Sowjetunion ist die Russische Föderation bzw. Russland, dass heute bei offiziellen Anlässen nicht erwähnt, und deren Vertreter sowie die von Belarus davon ausgeladen werden. Sie wurden nicht zur heutigen Gedenkfeier im Bundestag zum 8. Mai eingeladen. Denn In den letzten drei Jahren hat sich mit dem Krieg in der Ukraine und im Zuge der Feindbildzeichnung auch beim offiziellen Gedenken viel verändert. Diplomaten oder offizielle Vertreter Russlands und von Belarus sind davon seit 2022 ausgeschlossen, selbst bei Gedenkfeiern in den verschiedenen Konzentrations- und Zwangsarbeitslagern sind sie nicht willkommen. Es hat durchaus Methode, wenn die Nachfahren der Täter darüber entscheiden, dass die Opfer selbst oder ihre Nachfahren an den offiziellen Gedenkfeiern nicht teilnehmen dürfen.

Heute entscheiden also die Nachfahren der Täter – nehmen wir den Großvater unserer ehemaligen Außenministerin Baerbock. OberstWaldemar Baerbock soll nach seiner Wehrmachtsakte „ein bedingungsloser Nationalsozialist“ gewesen sein, der „vollkommen auf dem Boden des Nationalsozialismus“ stehe; denGroßvater von Friedrich Merz, Josef Paul Sauvigny war Oberscharführer der SA sowie Mitglied der NSDAP und anderer nationalsozialistischer Organisationen undvon1917 bis 1937 Bürgermeister von Brilon – darüber, ob die Nachfahren der Opfer am Gedenken teilnehmen können und verwehren Ihnen die Teilnahme an den offiziellen Gedenkfeiern.

Gleichzeitig findet ein Umschreiben der Geschichte statt, um den Anteil der Sowjetunion am Sieg über den Nationalsozialismus möglichst klein zu halten und die Verbundenheit der Kollaborateure in europäischen Ländern mit dem Nationalsozialismus weg zu waschen.

 

Gegenwärtig sind die offiziellen Beziehungen zu Russland und Belarus faktisch eingestellt, die Städtepartnerschaften mit beiden Ländern sind eingefroren. Doch weiterhin gilt die Erklärung seitens des Auswärtigen Amtes, dass die zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit fortgesetzt werden soll. Auch verbal wird dies immer wieder betont, aber in der Realität wird vieles getan, um gerade sie zu erschweren, siehe Geldüberweisungen an zivilgesellschaftliche Partner und Projekte, siehe Flugverkehr und vor allem die Praxis der Visavergabe bzw. besser der Nichtvergabe von Visa.

 

Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht verwehren, dass es eine tiefe Russophobie, manche meinen sogar einen tiefen Antislawismus in der deutschen Gesellschaft gibt. Ein Beispiel dafür liefert der neue Außenminister Johann Wadephul (Oberstleutnant der Reserve), der geriet im Februar 2025 in die Kritik, als er von den russischenComedians Wowan und Lexus kontaktiert wurde. Diese gaben vor, Mitarbeiter des ukrainischen Präsidenten Selenski zu sein. In dem 20-minütigen Anruf sprach Wadephul über die militärische Unterstützung der Ukraine und die mögliche Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern. Ferner sagte er, Russland werde „immer ein Feind und eine Gefahr für unsere europäische Sicherheit sein“. In den vergangenen Jahren fielen auf die Anrufe des Duos (bürgerlich Wladimir Kusnezow und Alexei Stoljarow), das von Gazprom finanziert sein soll, bereits andere Politiker wie Angela Merkel, Robert Habeck, Giorgia Meloni, Polens Präsident Andrzej Duda und der damalige ukrainische Außenminister Dmitro Kuleba hinein. Vielleicht gibt es ja tatsächlich eine tiefe Russophobieoder tiefen Antislawismus insbesondere in Westdeutschland (manches erinnert mich jedenfalls an die 1960er/1970er Jahre), in denen Russland/Sowjetunion ein stetes Feindbild war. 

Was völlig fehlt ist der Blick auf die positiven Elemente der gemeinsamen Vergangenheit von den Befreiungskriegen bis zur Wiedervereinigung.

Und keinen Blick wirft man auf das was seitens des Westens getan wurde, siehe die Aussagen bzw. Versprechen der Außenminister Genscher und Baker zu keiner Ausdehnung der NATO bzw. der NATO-Osterweiterung, die man sich im Archiv der Tagesschau ansehen kann. Denn Gorbatschow war gegen den Rat seiner Berater in dieser Frage sehr vertrauensvoll. Vergessen werden gerne auch die Angebote der russischen Präsidenten Putin und Medwedjew für eine gemeinsamen Europäischen Sicherheitsstruktur, diese Angebote wurden faktisch ignoriert. Doch aus meiner Sicht wird es Frieden in Europa auf Dauer nur geben, wenn es eine Europäische Sicherheitsstruktur gibt, die allen Seiten gerecht wird.

In den letzten Wochen gab es in der Friedensfrage im Krieg in der Ukraine Bewegung, allerdings lässt sich gegenwärtig nicht absehen, ob es wirklich zu einem ersten Schritt – einem Waffenstillstand – oder in der Perspektive zu einer echten Friedensvereinbarung kommen wird, die allen Seiten gerecht wird und tatsächlich Frieden, nicht nur einen eingefrorenen Konflikt oder vielleicht sogar eine neue Sicherheitsarchitektur für ganz Europa bringen wird. Weiterhin sterben in diesem Krieg, wie in jedem anderen der aktuell geführten Kriege (siehe Indien-Pakistan, siehe Gaza), jeden Tag Menschen, gibt es weitere Opfer und Verwundete, die ihr zukünftiges Leben mit ihren Verlusten oder Einschränkungen werden leben müssen. Eigentlich denkt man, um so eher dieser Krieg zu Ende geht, um so besser für Europa, doch die politischen Führungen Deutschlands – die alte wie die neue Regierung – und der EU scheinen weiterhin mehr auf Krieg setzen zu wollen, zumindest legen dies die riesigen Schuldenberge, die man gerade in den letzten Wochen beschlossen hat, aufzutürmen, nahe. Auch die Aussagen rund um die geforderte „Kriegstüchtigkeit“ bewegen sich bei mancher „Expert_in“ verstärkt Richtung „Kriegsbereitschaft“. Doch muss es nicht um „Friedenstüchtigkeit und Friedensbereitschaft“ gehen, damit dem Leid der Menschen ein Ende gesetzt wird – die nächsten Wochen werden es zeigen. Am Rande sei angemerkt, viel wird in EU-Europa über den Klimawandel debattiert, doch nur wenig über die Schäden an Umwelt und Klima, die durch Kriege und die Emissionen des Kriegsgeräts entstehen, ganz abgesehen vom sinnlosen Ressourcenverbrauch …

 

Es erscheint, dass mit dem allgemeinen Ruf nach Kriegstüchtigkeit und vor dem Hintergrund der zahlreichen aktuellen Kriege, Kriege wieder als „machbarer“ erscheinen. Dies mag auch daran liegen, weil es diejenigen gibt, die daran verdienen… Hier lohnt sich ein Blick auf den Aktienkurs von Rheinmetall. Die Aktien stand im März 2022 bei knapp 83 Euro, vor 11 Monaten, am 8. Juni 2024, war die Aktie auf 520 Euro gestiegen. Heute um 11:40 erreichte die Aktie einen Kurs von 1.659,00 Euro, eine Steigerung von 1.998,8 Prozent in drei Jahren.

 

Mit Blick auf die aktuellen Verhandlungen zwischen USA und Russland und USA und Ukraine vermag ich nicht einzuschätzen, ob dies tatsächlich etwas am Ende einbringen wird, denn Frieden wird es nur geben, wenn den Sicherheitsinteressen aller Beteiligten Rechnung getragen wird. Ich persönlich habe aktuell mehr die Befürchtung, dass wir uns auf einen „Kalten Krieg 2.0“ hinbewegen

 

Es bleibt die Frage „Was können wir tun?“ Wir versuchen durch unsere gesellschaftlichen Aktivitäten der „Kriegstüchtigkeit“ einen Blick von Völkerverständigung und Versöhnung entgegenzustellen. Unsere Vereine führen so gut es eben geht ihre Projekte vor Ort fort, wir werben mit unserem Projekt „Russomobil“ weiter an Schulen für das Erlernen der russischen Sprache, damit wir uns auch in der Perspektive weiter miteinander verständigen können. Da die BDWO-Vereine mit Partnern in allen postsowjetischen Staaten verbunden sind, ist es oft genugschwierig sich auseinanderzusetzen, trotzdem versuchen wir es.

Und mit Blick auf den Ukrainekrieg fragen wir nach der Zeit nach dem Krieg und stellen die Idee der Versöhnung in den Mittelpunkt undwelchen Anteil die Zivilgesellschaft daran nehmen kann bzw. muss.

Kriegstüchtigkeit setzen wir Friedfertigkeit, Friedenswillen, Friedensfähigkeit entgegen als Grundlage eines gesamteuropäischen Sicherheitssystems unter Einschluss Russlands. Statt dem Einsturz des Europäischen Hauses tatenlos zuzuschauen, wollen wir Brücken der Verständigung und der guten Nachbarschaft bauen bzw. wiederherstellen.

Zum Abschluss möchte ich zwei Aussagen von John F. Kennedy (1917-1963) dem 35. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika in Erinnerung rufen:

„Die Menschheit muss dem Krieg ein Ende setzen, oder der Krieg setzt der Menschheit ein Ende.“

„Für den Frieden gibt es keinen einfachen Schlüssel, keine großartige oder magische Formel, die sich eine oder zwei Mächte aneignen können. Der echte Frieden muss das Produkt vieler Nationen sein, die Summe vieler Maßnahmen.“