Ein Bericht vom internationalen Volksdiplomatie-Forum 2017 in Wolgograd
von Gerhard Militzer
Zum vierten Mal fand unter dem Titel „Frieden und Verständigung im 21. Jahrhundert“ in Wolgograd das internationale Volksdiplomatie-Forum statt. Am 31.10./01.11.2017 trafen sich auf Einladung der Stadt Wolgograd zahlreiche Gäste aus Russland und dem Ausland, u.a. aus Armenien, China, Indien, Slowakei, Slowenien und USA. Die größte Delegation kam einmal mehr aus Deutschland. Darunter waren der Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Bundestag Dietmar Bartsch, der Vorstandsvorsitzende des Deutsch-Russischen Forums Matthias Platzeck (SPD), Kölns Bürgermeister Andreas Wolter (Grüne) und der ehemalige Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD).
Der erste Veranstaltungstag begann mit der traditionellen Kranzniederlegung vor der ewigen Flamme auf dem Platz der gefallenen Kämpfer im Zentrum der Stadt. Hier wie auf dem Mamajew-Hügel gedenkt die Stadt der Soldatinnen und Soldaten, die im Kampf gegen die deutschen Aggressoren 1942/1943 in Stalingrad getötet wurden.
Im Wolga-Saal des erstklassigen Hotels „Hampton by Hilton Volgograd Profsoyuznaya“ fanden anschließend die beiden ersten großen Diskussionsrunden statt, die sich um die Themen der internationalen Beziehungen insbesondere in Europa in einer unsicher gewordenen Welt drehten. Zum Auftakt betonte der Oberbürgermeister Wolgograds Andrey Kosolapov, wie wichtig es für die internationalen Akteure sei, einander zuzuhören und abweichende Ansichten zu tolerieren. Dabei wies er auf die Funktion der Vereinten Nationen (UN) als internationale Institution zur Streitbeilegung hin.
Im Gegensatz zu seinen letztjährigen Einlassungen auf dem Forum wies Matthias Platzeck diesmal auf bestehende Differenzen hin und warnte im Hinblick auf die russische Seite davor, die Lage besser darzustellen als sie sei. Als Weg zu einer Wiederannäherung empfahl er, sich nicht auf Problematisches und Spannungsreiches, sondern auf Einvernehmliches zu konzentrieren, etwa die Bekämpfung des Terrorismus und den Schutz des Klimas.
Aufschlussreich waren auch die Einlassungen von Bill Boerum, ehemaliger Vorsitzender der Vereinigung „Sister Cities Internationals“ (USA), der als Hauptbedrohungen für die internationalen Beziehungen den Aufstieg neuer Mächte, Nationalismus, Fluchtbewegungen und Immigration, Cyberkrieg sowie den islamischen Terrorismus benannte.
Yury Starovatykh, ehemaliger Bürgermeister Wolgograds und Begründer der Städtepartnerschaft Köln-Wolgograd auf russischer Seite, sprach sich wie seit vielen Jahren unermüdlich für enge und friedliche Beziehungen insbesondere zwischen Deutschland und Russland aus, fragte aber auch nachdrücklich, was Russland noch tun könne, um zu einer Normalisierung der Beziehungen zu gelangen. Unausgesprochen, aber offensichtlich dabei war, dass die von Deutschland bzw. der EU geforderte Rückgabe der Krim an die Ukraine kein Thema für die Russen ist, weder jetzt noch in Zukunft.
Am Abend des ersten Veranstaltungstags gab es wie jedes Jahr für alle Gäste einen beeindruckenden Empfang im traditionsreichen Hotel „Volgograd“, der die generöse Gastfreundschaft des Oberbürgermeisters und der Stadt Wolgograd verdeutlichte.
Am nächsten Tag gab es fünf separate Diskussionsrunden. Kölns ehemaliger Oberbürgermeister Jürgen Roters referierte über die Bedeutung von Städtepartnerschaften für die Entwicklung internationaler Beziehungen; Andreas Wolter referierte zum Thema „Integration als langfristige Maßnahme zur Verhütung von Kriminalität und Terror“. Eine weitere Diskussionsrunde widmete sich exklusiv den deutsch-russischen Beziehungen. Dabei räumte der ehemalige außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der LINKEN Wolfgang Gehrke anhand von Zahlen und Fakten über die militärischen Kräfteverhältnisse von NATO und Russland mit der Mär von der russischen Aggressionsfähigkeit auf.
Abseits des Forums hatte ich interessante Gelegenheiten zu Kontakten mit Wolgograder Bürgerinnen und Bürgern. So konnte ich Produktion und Arbeitsbedingungen eines mittelständischen Betriebs in Augenschein nehmen sowie eine kirchliche Prozession am Tag der „Gottesmutter von Kasan“ (4. November) verfolgen. Last but noch least traf ich mich mit einem Vorstandsmitglied des „Wolgograd-Köln-Vereins“, Ljudmila Sidorina.