Reiseberichte Wolgograd 2016

Bevor die Reise losging….

Anfang des Jahres war die Reisegruppe komplett, und ich konnte sofort Flüge und Hotels buchen. Das tat ich auch. In Wolgograd waren wir vor 2 Jahren in einem kleinen Hotel außerhalb des Zentrums untergebracht und aufmerksam und liebevoll von freundlichen und üppigen Damen umsorgt worden. Dort meldete ich uns wieder an, beide Seiten freuten sich auf ein Wiedersehen. So 3 Wochen vor unserer Ankunft nahm ich noch einmal Emailkontakt auf – doch keine Reaktion. Nach mehreren Versuchen rief ich dort an, es meldetet sich eine unbekannte Stimme – dies sei eine Privatnummer, das Hotel existiere nicht mehr, es würde renoviert.

Hektisch suchte ich nach einer Bleibe für eine Woche für 20 Leute. Und ich hatte großes Glück: in einem der besten Hotels am Platze mitten im Zentrum von Wolgograd konnten alle untergebracht werden und sogar zu einem sehr günstigen Preis.

Zu solchen abenteuerlichen Begebenheiten kann einen die Krise in Russland führen!
Eva Aras

Moskau

Nachdem sich die Gruppe das erste Mal komplett am Flughafen traf, flogen wir los und kamen wohlbehalten im Moskauer Flughafen an. 2 bestellte Busse brachten uns in das gebuchte und gute Hotel mitten im Zentrum von Moskau. Dort wartete bereits Valerij auf uns, ein emeritierter Moskauer Geschichtsprofessor und Freund des Vereins. Er wird unser Reiseführer in Moskau sein und begleitete uns sofort in ein sehr gemütliches russisches Selbstbedienungsrestaurant, in dem alle ohne große Hilfe sich ein erstes köstliches russisches Essen zusammenstellen konnten. Alle waren begeistert. Zu Kräften gekommen starteten wir unseren Spaziergang durch das prächtig beleuchtete und sehr schön restaurierte Zentrum direkt zum Roten Platz, der natürlich alle begeisterte. Daran schloss sich die obligatorische Metrofahrt an, die alle ebenfalls durch die ewig langen und rasanten Rolltreppen und die üppig gestalteten Stationen stark beeindruckte. Eine der dekorativsten Stationen erschien uns die am Kiewer Bahnhof zu sein, die das bäuerliche Leben in der Ukraine thematisiert und auch die russisch-ukrainische Freundschaft (!). (Dort haben wir ein sehr schönes Gruppenfoto gemacht!). Erschöpft und voll von neuen Eindrücken kehrten wir ins Hotel zurück.

Am nächsten Tag fanden wir alleine den Weg mit der Metro zum Kreml, wo wir mit Valerij zu einer Führung verabredet waren. Moskau zeigte sich in strahlendem Sonnenschein von seiner besten Seite, wir waren beeindruckt von der Weitläufigkeit des Geländes und den prächtigen Kirchen, besonders die mit Fresken vollständig ausgemalte Mariä-Entschlafens-Kathedrale hatte es uns angetan.

Seit einiger Zeit kann man den Kreml direkt über das Spasskij-Tor zum Roten Platz hin verlassen, was wir dann auch machten. Wir erfreuten uns nun an dem großartigen Anblick des Roten Platzes bei Tag und schauten uns dann das GUM an, nun auch prächtig renoviert und nur die teuersten westlichen Geschäfte beherbergend. Dort aßen wir in einem sowjetisch gestylten Lokal zu Mittag. Danach blieb uns nicht mehr viel Zeit, und wir kehrten über die Twerskaja Straße zurück ins Hotel. Doch war eine wichtige Unterbrechung der Besuch des Jelissejew-Delikatessengeschäfts – solch eine überbordende Pracht in einem Geschäft gibt es nur noch einmal in Petersburg zu sehen, beide seit ca. 1900 existierend.

Nun brachten uns die Busse zum Paveletskij-Bahnhof, von wo unser Zug nach Wolgograd abfuhr. Bis dahin hatten wir noch viel Zeit, die wir mit Proviantkäufen und Menschen Beobachten verbrachten.

Moskau war eine spannende Stadt, vieles wurde imposant neu gebaut, sie zeigte sich uns von seiner besten Seite. Unser Reiseführer Valerij konnte sie uns durch seine interessanten Erzählungen und differenzierte Sicht auf viele Dinge näher bringen.

Die Menschen zeigten sich sehr unterschiedlich, so z.B. an der Hotelrezeption: mal waren sie steif, offiziell, „sowjetisch“ und dann wieder andere sehr aufmerksam, nett und zugewandt.
Eva Aras

Die Zugfahrt Moskau – Wolgograd

Die Zugreise über 1000 Kilometer hat mich fasziniert, weil ich seit Jugendzeiten davon träume, mit der Transsibirischen Eisenbahn zu fahren. Dann stehen wir am Moskauer Paveletsky-Bahnhof, um den Zug Nr. 15 nach Wolgograd zu nehmen: Lange hatten wir warten müssen, zusammen mit vielen hunderten Reisenden, die auf ihre Anschlüsse nach Nowosibirsk, Tomsk oder Saratow warteten; hatten Proviant eingekauft für die einundzwanzigstündige Reise durch Nacht und Tag, doch am Zugeingang verstellt Eine gebieterisch die Tür: die strenge Schaffnerin in blauer Uniform besteht darauf, jeden deutschen Reisepass akribisch mit den Namen auf ihrer Liste zu vergleichen. Der lange Zug rattert durch die Moskauer Vorstädte mit ihren schwach beleuchteten Wohnsilos, und auf einmal ist da nur noch Dunkelheit vor den Fenster. Steppe.

Zeit, sich im Zug umzuschauen: Die strenge Schaffnerin hat ihren Uniformmantel abgelegt und trägt nun bequeme Pantoffeln zum blauen Rock. Die ganze Nacht über wird sie sich mit einer Kollegin abwechseln, den Reisenden Chai und Kofje, Tee und Kaffee, und so manches Gebäck anzubieten. Die Neuzeit hat die Samowarromantik längst verdrängt; auch hier gibt es schlicht heißes Wasser, Teebeutel und Nescafe, aber stilvoll im Glas. Wer die strenge Ansprache der russchischen Zugbegleiterin nicht verstanden hatte, wird spätestens auf der Zugtoilette darauf hingewiesen, dass es nicht erlaubt ist, das benutzte Papier durch die Toilette zu spülen. Ein eigens aufgestellter Eimer wird uns noch in vielen Toiletnys mahnend begegnen. Die ganz Munteren tummeln sich noch mit piwa, Bier im Speisewagen, die Gemütlichen tauschen im Abteil ihre Eindrücke von Moskau aus, die Müden haben sich schon auf die Pritschen verzogen.

Der russische Morgen verheißt mehr an Landschaftsausblicken: im Sonnenschein sieht auch die Steppe immer etwas anders aus. Pünktlich hält der Zug an wenigen Bahnhöfen, in denen Russen mit vielen Paketen und Gepäck aus- und zusteigen, aber auch Händlerinnen, die auf den Gängen ihre Waren anbieten: frische gefüllte Piroggen, Obst, warme Wollsocken und Schals. Die Dörfer und Städte im ländlichen Russland unterscheiden sich deutlich von der geschmückten Moskauer Großstadt; bunte Holzhäuser, wenige Steinhäuser, viele Gärten, Werkstätten und Sandwege. Hin und wieder ein schillernder See, ein einsames Auto. Die erwarteten Ladas und Moskwitschs sind hier unterwegs, kaum noch ein teures Westauto. Die Augen ruhen aus bei diesem beschränkten Angebot und Reizen, aber das geruhsame Reisen hat etwas Meditatives.

Erste größere Häuseransammlungen auf Hügeln links und rechts kündigen Wolgograd an. Da stehen die russischen Mitreisenden erwartungsvoll am Fenster, um SIE zu sehen, die weithin sichtbare Statue der Mutter Heimat auf dem Mamaev-Hügel, die mit ausgestreckter Hand jeden Rückkehrer begrüßt. Ich fühle mich in diesem Moment sehr verbunden mit Menschen, die mit Tränen in den Augen ein Bauwerk sehen und sich zuhause fühlen, so wie es mir geht, wenn der Zug über die Hohenzollernbrücke fährt und den Blick auf den Kölner Dom freigibt. Wolgograd! Nach fast tausend Kilometern hält der Zug pünktlich am Bahnhof. Mit einem Nicken entlässt uns die nun wieder korrekt uniformierte Zugbegleiterin in die Stadt.
Maria Adams

Besichtigung des Paulus-Bunkers, des Panorama-Museums und des Mamaev-Hügels.

Der Paulus-Bunker im Stadtzentrum im Keller eines ehemaligen Kaufhauses ist erst seit ein paar Jahren zu besichtigen. Sehr eindrucksvoll zeigt er das Alltagsleben der Eingekesselten im Bunker in realistisch aufgebauten Szenen.

Das Panorama-Museum „Stalingrader Schlacht“ befasst sich in anderer Form mit der Stalingrader Schlacht: ein gewaltiges Rundpanorama zeigt einen bestimmten Tag der Schlacht – aufgelöst in etliche Szenen – auch das wirkte sehr eindrucksvoll auf uns Besucher.

Reflexionen zum Besuch des Mamaev-Hügels (aktualisiert).

So stehe ich nun auf der Gedenkstätte Mamajew-Hügel in Wolgograd am Fuße der riesigen sowjetisch-russischen Mutter Heimat, deren Ruf ich gefolgt bin. – Was will, was soll, was kann ich hier denken und tun?
Ich: Ein Deutscher, 1946 gezeugt in einem sowjetischen Zwangsarbeitslager im Donbass als Sohn deutscher Strafgefangener mit kollektiver SS-Vergangenheit und Adoptivsohn eines deutschen Frontsoldaten, der den Russlandfeld- und -rückzug bis zum bitteren Ende mitgemacht und dabei nicht nur wohl oder übel unzählige Sowjetische Soldaten getötet und verwundet, sondern auch alle eigenen Kameraden verloren hatte.
Ich, der zeitlich und örtlich weitab von all dem Krieg und Elend im Frieden des (west-)deutschen Wirtschaftswunderwohlstands aufgewachsen ist und genauso frei wie komfortabel leben darf.

Hier stehe ich nun im Herbst 2016: Unter den Füßen die Überreste von 40.000 Opfern der Schlacht von Stalingrad, über dem Kopf das gigantische Schwert der Mutter Heimat-Statue, vor Augen das Mahnmal ihrer stumm um ihre toten Kinder trauernden Schwester, hinter mir der Spießrutenlauf durch in Beton gegossene Schlachtszenen, dröhnenden Schlachtenlärm und heroische Kampfparolen.
Was soll, was kann ich hier nun darüber denken und dazu sagen?

Hilfesuchend richtet sich mein Blick auf das tröstende, auf Russisch und Deutsch in Stein gemeißelte Versprechen einer anderen trauernden Mutter Heimat-Schwester im Zentrum des Sowjetischen Ehrenmals in Berlin-Schönholzer Heide:

смерть и кровь советскиx героев / горе и слезы матерей вдов и сирот /
не проидут напрасно / они зовут к борьбе за прочный мир между народами.

NICHT VERGEBENS WAREN DER TOD UND DAS VERGOSSENE BLUT DER SOWJETHELDEN
NICHT VERGEBENS DER KUMMER UND DIE TRÄNEN DER MÜTTER, WITWEN UND WAISEN
SIE RUFEN ZUM KAMPF FÜR DEN DAUERNDEN FRIEDEN UNTER DEN VÖLKERN AUF.

Doch ihre Worte werden übertönt und zerrissen vom Kanonendonner und den Scharfschützen des neuen russisch-ukrainischen; Bruderkrieges im Donbass mit schon wieder über 10.000 Toten und Millionen Heimatlosen, gehen unter in dem neuen Meer der Tränen und Trauer von schon wieder aber tausenden neuen verwaisten Eltern, Witwen und Kindern, ungezählten Verwundeten und Traumatisierten auf beiden Seiten und in den Trümmern schon wieder zerstörter Städte und Landschaften, die gerade noch teure und unersetzbare Heimat waren. -Ausgerechnet dort, wo ich mein Leben, meine Freiheit und meinen Frieden geschenkt bekam.

Was bleibt, sind die offenen Fragen, die schon Edwin Dwinger bewegt haben, der die Tragödie des russischen Bürgerkriegs 1919/20 „Zwischen weiß und rot“ als deutscher Offizier auf beiden Seiten an vorderster Front mitgemacht und -erlebt hat:

„Warum muss(te) das alles sein?
Sind wir nicht Menschen?
Sind wir nicht Brüder?
Alle aus einem Land, aus einer Erde?
Warum können wir uns nicht lieben?“

Mein Adoptivvater, Frontsoldat und knapp Überlebender des 2. Weltkriegs, insbesondere in Russland, hat mir mit drei Worten erklärt, was der Krieg für ihn bedeutete: „Du oder ich“ – nicht: „der Feind/der „Russe“ oder ich“, sondern: „Du oder ich“. Er hatte sich diese Wahl verdammt noch mal nicht ausgesucht. Er hatte nur die Wahl, nach vorne auf sowjetische Mitmenschen zu schießen und sich von diesen beschießen zu lassen – oder von hinten von deutschen Mitmenschen erschossen zu werden.
Am Ende ist er tödlich getroffen und schon aufgegeben von den sowjetischen Siegern gerettet und geheilt in Frieden entlassen worden.
So konnte er mein Ersatzvater werden und auch für mein Überleben und mein Heil sorgen.
Daran denke ich und dafür habe ich zu danken.
Und deshalb habe ich die sowjetisch-russische Mutter Heimat besucht.
Um ihre Opfer zu ehren und ihren Überlebenden zu danken.

Hinzu kommt noch ein weiteres Gefühl: das der Anerkennung und Bewunderung.
So, wie russische und andere sowjetische Menschen meinen todgeweihten Adoptivvater gerettet haben, so haben sie auch ihre todgeweihte Stadt Stalingrad und darüber hinaus ihr ganzes zerstörtes Land wieder aufgebaut und zu neuem Leben erweckt.
Welch eine unbändige Lebenskraft, welch ein unbeugsamer Lebenswille und welch ein wertvoller und unverzichtbarer Beitrag zur Lebendigkeit und zum Überleben unserer großen menschlichen Gemeinschaft!
Hans-Jürgen Tlusty

Der Soldatenfriedhof Rossoschka

Wo anders könnte die Erinnerung an das mörderische Gemetzel der Stalingrader Schlacht von 1942/43 und die Tausenden Toter und Vermisster auf beiden Seiten intensiver sein, als bei den Soldatenfriedhöfen und Gedenkstätten von Rossoschka, die wir am 13. Oktober besuchten. Sie befinden sich knapp 40 Kilometer nordwestlich von Wolgograd in der Nähe des Flüsschens Rossoschka, an dessen Ufer einst die im Kriege völlig zerstörten Dörfer Klein- und Groß-Rossoschka lagen.

Mitten in der Steppe erheben sich auf ehemaligem Schlachtfeld über Soldatengräbern schlichte Gedenkstätten und Stelen mit eingravierten unendliche Namenslisten. Ein Dokumentationszentrum des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge bietet detaillierte Informationen über die Geschichte der Gedenkstätten und die Stalingrad Gefallenen und Vermissten.

Unsere Gruppe hat im Namen des Städte-Partnerschaftsvereins Kränze des Gedenkens und der Versöhnung an der russischen und deutschen Gedenkstätte niedergelegt. Allein durch das Erschrecken über den hohen Anteil junger Menschen an den Toten und Vermissten jener Jahre drängt sich zugleich ein Bekenntnis zum Frieden in der heutigen Zeit auf, gegen Krieg und gegen alle Versuche, internationale Konflikte mit militärischer Gewalt zu lösen.
Albert Pflüger

Im Süden Wolgograds – Alt Sarepta

Am dritten Tag in Wolgograd fuhren wir mit dem Bus aus dem Zentrum der Stadt ca. 80 km südlich in den Krasnoarmejski-Bezirk (Rote Armee Bezirk). Auf der Fahrt erläuterte uns Olga, unsere Begleiterin und zwei Dolmetscherinnen, einiges von der Stadt. Wir fuhren an der Universität vorbei, sahen Industrieanlagen, aber auch kleine traditionelle russische Holzhäuser. In Krasnoarmejsk ging es zunächst an die Wolga zum großen Lenindenkmal. Es steht an dem Abzweig des Wolga-Don-Kanals. Dort konnten wir die Treppenanlage hinab zum Wolgaufer gehen. Dann spazierten wir auf einem Promenadenweg mit parkähnlichem Charakter entlang ca. 1,5 km bis zur ersten Schleusenanlage. Sie ist ein beeindruckendes Bauwerk, besonders durch das riesige Schiffseingangstor. Leider hatten wir an diesem Tag ungemütliches Wetter, es war feucht kalt, windig und regnete leicht.

Nun zum eigentlichen Ziel des Tages, Alt Sarepta, einer „1765 von der religiösen Bruderschaft der Herrenhuter“ gegründeten Siedlung. Wir besichtigten den kleinen Park im Zentrum der Siedlung sowie einiger der erhaltenen Häuser um ihn herum, die Apotheke mit erhaltenen Möbeln und Inventar, die Bibliothek, einen Weinkeller mit Fässern und Herstellungsgeräten und besonders die gut restaurierte Kirche. Sie wird aktuell für Gottesdienste genutzt, in der eine Orgel, ein Geschenk aus Cottbus, 2005 eingebaut wurde. Wir erhielten durch eine Russin, die Mitglied der Kirchengemeinde ist, zahlreiche Informationen zum Gebäude und seiner Nutzung.

Nachdem es uns inzwischen recht kalt war, kehrten wir in ein anderes Gebäude der Siedlung ein, das heute ein Gasthaus ist. Hier bekamen wir ein typisch russisches Mittagessen. Dort hatten wir nach dem Essen das wohl nachhaltigste Erlebnis des ganzen Tages, wenn nicht sogar eins der ganzen Reise. Eine über achtzigjährige Frau, die von den Nazis im Krieg als Zwangsarbeiterin nach Deutschland gebracht wurde, erzählte uns von dieser Zeit, von ihrem Leben und von der äußerst schwierigen Zeit nach dem Krieg. Die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurden nach dem Krieg in Russland angefeindet, weil sie für den Feind gearbeitet hätten. Sie durften ihr Schicksal bis heute nicht öffentlich machen und mussten so, gesellschaftlich geächtet, mit ihren Erlebnissen alleine fertig werden. Diese sind ganz mit den Greueltaten an den Juden vergleichbar.

Unvergleichlich war allerdings, wie diese Frau lebensbejahend, warmherzig und mit großer Menschenfreude uns von ihrem schweren Lebensweg erzählte. Sie hat uns alle in besonderem Maße innerlich berührt. Sie war beispielhaft für die sprichwörtlich „große russische Seele“*.

Nach dieser Begegnung und den Eindrücken von diesem südlichsten Stadtbezirk Wolgograds fuhren wir ins Zentrum zu unserem ausgezeichneten Hotel „Wolgograd“, dem Stadttheater gegenüber gelegen, zurück.
Rudi Schmitz

*Bei der älteren Frau, von der oben die Rede ist, handelt es sich um Galina Saschina. Sie hat Auschwitz überlebt, ist in einem sowjetischen Waisenhaus aufgewachsen, wurde Schuldirektorin und gründete 1988 die Wolgograder Sektion der Russischen Vereinigung ehemaliger Gefangener in Konzentrationslagern, deren Vorsitzende sie seitdem ist. In dem Buch „…und die Wolga brannte“ (Hrsg. unser Verein) wird sie ausführlich vorgestellt.

Das Zwangsarbeiterprojekt

Die Leiterin des Zentrums zur Unterstützung nicht kommerzieller Organisationen, Elena Shatokhina, stellte uns das Projekt genauer vor.

Im Jahre 2000 wurde eine Befragung gestartet mit etwa 1000 Menschen in Wolgograd. Es ging um die Frage, was ehemalige Zwangsarbeiter dringend benötigen. In diesem Zusammenhang erschien später das Buch „…und die Wolga brannte“, das der Städtepartnerschaftsverein Köln-Wolgograd verlegte. Auf der Grundlage der Aussagen der Befragten konnte 2002 mit dem Projekt begonnen werden. Am Anfang bekamen etwa 200 ehemalige Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen Hilfe, mittlerweile sind es 180. Zur Hilfe gehören Telefonanschlüsse, soziale und medizinische Beratung und Betreuung. Sechs Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen stehen zur Verfügung. Mittlerweile gibt es auch eine Selbsthilfegruppe speziell zur Betreuung der kranken Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen.

Die Situation der ehemaligen Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen in Russland ist schwierig. Immer noch gelten sie Kollaborateure. Man wirft ihnen vor, dass sie im Krieg und nach dem Krieg „für den Feind gearbeitet“ und nicht Selbstmord begangen haben. Deshalb gibt es auch immer noch keine wirkliche Zusammenarbeit mit der Stadt Wolgograd in dieser Frage, nur mit einigen städtischen Stellen. Auch bei den jungen Leuten bestehen Ressentiments gegenüber den ehemaligen Zwangsarbeitern.

Unter Putin ist die Situation noch schlimmer geworden als vor einigen Jahren, schon deshalb, weil viele NGOs, die vom Ausland finanzielle Unterstützung erhalten, heute generell unter Verdacht stehen, mit Gegnern Russlands in Kontakt zu stehen. Gerade deshalb ist die Arbeit für das Zwangsarbeiterprojekt sehr schwierig geworden. Um so wichtiger ist deshalb der Kontakt und Erfahrungsaustausch mit anderen Zwangsarbeiterprojekten, die es mittlerweile in weiteren russischen Städten gibt.
Michael Kellner

Empfang im Haus des Architekten

Direkt nach dem Schulbesuch erwartete man uns im Haus des Architekten. „Man“ waren die Damen des Köln-Vereins und der ehemalige Bürgermeister von Wolgograd, Jurij Starovatych, der 1988 gemeinsam mit Norbert Burger die Städtepartnerschaft Köln-Wolgograd beschlossen hat.

Von beiden Seiten wurden deutlich freudige Begrüßungsreden anlässlich dieses Besuchs gehalten.

Mit einem abwechslungsreichen, lebendigen Kulturprogramm wurden wir herzlichst begrüßt, etliche Kinder der Balakirev-Schule ,die mit dem Kölner Schulzirkus „Zappelino“ einen Austausch haben, präsentierten ihre artistischen und musikalischen Talente. Sogar unsere Reisegruppe sang zur Begeisterung der Anwesenden „Die Gedanken sind frei“. Spontan wurde ein Reiseteilnehmer von einer russischen Dame zum Walzer aufgefordert – insgesamt war es eine stürmische erste Begegnung, die im Büro von Jurij Starovatych mit Wodka begossen wurde.
Eva Aras

Besuch bei einer Familie in Wolgograd

Wir wurden um 10 Uhr morgens am Hotel abgeholt. In einem Kleinwagen ging es mit 5 Personen in den 16 km entfernten nördlichsten Stadtbezirk „Spartanowka“. Nach einem Spaziergang durch den „ Pamyati Park“ gingen wir zur Gastgeberin nach Hause. Ein übervoll gedeckter Tisch und 4 Freundinnen der Gastgeberin empfing uns nach russischer Tradition mit einem Trinkspruch und Wodka. Nach reichhaltigem Essen, guter Unterhaltung und unendlicher Anzahl an Trinksprüchen stand ein Spaziergang auf dem Programm. Wir machten in einem Cafe Halt, wo mitgebrachte Speisen verzehrt wurden, was in Deutschland undenkbar wäre. Nach dem Besuch am Wolga Ufer mit Blick auf das größte Wasserkraftwerk Europas endete dieser eindrucksvolle Tag mit einer Taxifahrt zurück zum Hotel.

Viele positive Eindrücke, eine sehr herzliche Gastfreundschaft und Verständnis füreinander sprechen für Respekt, Verständnis und Einfühlungsvermögen zwischen verschiedenen Generationen und Völkern, was die momentane politische Situation unserer Völker übertrifft. Eine sehr gelungene Veranstaltung für alle Beteiligten !
Nicole Wienand + Ralf Becker

Familientag

Nicht nur die Besichtigung von bedeutsamen historischen Orten der Heldenstadt, die einen sehr nachhaltigen Eindruck auf uns machte, sondern auch das Sonntagsprogramm „Familienbesuch“ ist ein wichtiger Teil der Delegationsreise gewesen. Private Einladungen waren an acht Kleingruppen ausgesprochen worden, und daher konnten Melissa und Sabine die liebenswerte Olga mit ihrem 14jährigen Sohn besuchen.

Olga ist eine jüngere Deutschlehrerin, die nach ihrer Scheidung mit Hilfe ihrer Eltern eine Zweizimmerwohnung mit Küche, Bad und verglastem Balkon beziehen konnte. Sie ist froh, dass die Renovierung der Räume nach und nach klappt und auch ihre wunderschöne Katze ihre Lieblingsecken dort findet. Wir waren von der Stadtmitte aus mit der Tram in den Nordbezirk gefahren und sahen am Ende der Fahrt die große Traktorenfabrik, welche unter Stalin Rüstungsgüter und Traktoren lieferte und im Krieg lange heftig umkämpft worden ist.

Es war Sonntag, doch keine Ruhe herrschte in Geschäften und auf Baustellen. Wir durchquerten mehrere kleine Märkte: ungeordnet, immer wieder von PKWs kreuz und quer gestört, lagen Fahrräder, Gemüse, Obst sowie diverse technische Produkte zum Verkauf feil. Es herrschte Betrieb, auch an Imbissbuden. Auf holprigen Wegen gelangten wir zu den Wohnblocks, wo Olga in einem 3. Stock wohnt. Von dort geht der Blick in die weitere Umgebung; ihre Schule ist nicht weit entfernt und auch nicht das Krankenhaus, das Olga uns zeigte.

Sie zeigte uns auch Fotos auf dem PC, ihr Berufsleben betreffend. Interessant war der Einblick in 2 Deutschbücher, die sie im Unterricht benutzt; hier lasen wir z.B. differenzierte Angaben zum deutschen Schulsystem. Es sind also Lehrmaterialien von gediegener Qualität. Bei einem guten Essen im Wohnzimmer führten wir lange Gespräche über ihr Leben, die Perspektiven für ihren Sohn und auch über unsere Erfahrungen. Wir überreichten Geschenke, die der Gastgeberin wohl gefielen. Zu unserer Überraschung erhielten wir auch welche: feine Pralinen und Senföl.

Der Besuch endete mit einem kleinen Ausflug: an der breiten ruhigen Wolga schauten wir in Richtung Wasserkraftwerk, dem größten in Europa. Zu sehen waren auch in der Ferne zwei sandige Inseln in dem längsten Fluss Europas. Erfreulich auf dem Rückweg war, dass wir abschließend eine Holzkirche außen und innen anschauen konnten. Denn Kirchen geben stets einen treffenden Einblick in die Lebensweise von Menschen in Russland.
Sabine Oetz

Jung und nachts in Wolgograd

Das erste Mal in Russland, das erste Mal in Wolgograd. Annick (39) und ich (46) hatten das große Glück, dass sich Viktorya (23, sie war im Rahmen der Städtepartnerschaft den Köln-Marathon 2016 mitgelaufen und hatte in Köln Annick kennengelernt) offenbar vorgenommen hatte, die Abende in Wolgograd zu gestalten und mit uns zu verbringen.

Am ersten Abend waren wir zu Dritt im Marusja, einem sehr stylischen Restaurant, gelegen an der Heldenallee mit Blick auf die Wolga. Sehr modern und farbenfroh eingerichtet, die Speisenkarte auch eher international als rein russisch. Und lecker war es natürlich auch…

Hiernach ging es ins Alyaska, eine Bar mit unzähligen Biersorten, einige davon frisch gezapft. Dort fand sich ein sehr junges russisches Publikum, wobei wir auch auf einen Amerikaner trafen, der seine Russlandtour 9 Monate zuvor in Irkutsk begonnen hatte. Somit hatten wir eine sehr interessante RussischDeutschAmerikanische Runde…

Nächster Tag Harat´s Pub, ein Irish Pub mit russischer Live Musik, Viktorya und ihren Freundinnen. Sehr gute Stimmung, die Lied-Texte waren offensichtlich weithin bekannt, denn es wurde fleißig mitgesungen und getanzt. Danach haben wir eine weitere Bar aufgesucht, erreichbar über einen unbeleuchteten Hof, dann ab in den Keller (erinnerte ein wenig an die Clubs in Berlin nach der Wende). Und auch hier wieder sehr gute Stimmung. Die Musik konnten die Gäste über eine Musikbox gegen ein kleines Entgelt wählen, es wurde getanzt und ein professioneller Fotograf dokumentierte das Treiben.

Wir haben die Abende, die Restaurants, Bars, Clubs und Pubs sowie die offenen und freundlichen Menschen sehr genossen. Aber war es wirklich anders als z.B. in Köln? Eigentlich nicht! Die Läden würden hier genauso funktionieren und ich würde sie auch definitiv regelmäßig besuchen – nur die in allen Etablissements üblichen UniSex-Toiletten wären hier in Deutschland natürlich nicht erlaubt – dabei fand ich gerade die, wie so einiges andere in Russland auch, so herrlich ursprünglich und unprätentiös…
Jens Bruckner

Abschied auf dem Schiff

Als Abschluss unseres Aufenthalts und als großes Dankeschön an die vielen großzügigen und gastfreundlichen Menschen haben wir alle, die unsere Gastgeber waren und mit denen unser Verein zu tun hat, auf ein Schiff geladen und sind die Wolga bis zum Staudamm hin- und zurückgefahren. Herr Sörensen, ein langjähriges Mitglied aus Norddeutschland, war auch mit dabei, ebenso wie ein Vertreter der Stadt Wolgograd. Zuerst gab es Dankeschönreden und -geschenke, dann ein Mittagessen an festlich gedeckten Tischen. Es entstand eine wunderbar fröhliche und ausgelassene Atmosphäre und dank gutem Wodkazuspruchs wechselten wir uns mit deutschen und russischen Liedern ab – das war für alle ein unvergesslicher Abschluss!

Ich habe schon einige Wolgogradreisen unternommen, doch diese Reise war eine besondere: gerade da die politische Situation so eskaliert ist, hatten alle Beteiligten – von russischer und von deutscher Seite – besondere Freude an den Begegnungen.
Eva Aras